Veröffentlicht im DEAR Magazin (baunetz id)

Für das DEAR Magazin (baunetz id) habe ich im Winter 2017 den Baumspezialisten Jakob Röthlisberger, Chefeinkäufer des renommierten Möbelherstellers Girsberger, in die Wälder Kroatiens und in die Holzverarbeitung nach Österreich begleitet. Lesen Sie die Reportage im Original auf baunetz id.


Ein Keilschnitt in Fallrichtung, zwei geübte Schnitte an jeder Seite, bevor die Kettensäge den Stamm von der Rückseite her trennt und die Eiche zu Fall bringt. Als der Baum zu kippen beginnt, wird es plötzlich ruhig. Einen Moment lang scheint die Welt stillzustehen. Dann ein lautes Krachen. Äste zerbersten. Splitter segeln durch die Luft. Und das Getöse legt sich wieder. Keine fünf Minuten hat es gedauert, und es liegen knapp 120 Jahre Baumgeschichte am Waldboden.

Forstvisite mit dem Baumspezialisten Jakob Röthlisberger. Sein Job als Chefeinkäufer des renommierten Möbelherstellers Girsberger ist es, erstklassige Hölzer aufzuspüren. Kaum jemand kennt sich aus wie er, der Schweizer mit der kräftigen Statur, den man auch den Baumflüsterer nennt. Ihm geht es um erlesenes Material aus verschiedenen Provenienzen wie Frankreich, Deutschland, Österreich und Kroatien: für die Möbelproduktion, für Sondermaße und Spezialanfertigungen im Bereich Customized Furniture. Zusammen treffen wir den Forstingenieur Ante Orlović in einem Wald in der kroatischen Region Slawonien. Mit uns der österreichische Holzhändler Gernot Stefl. Zwischen Ungarn und Bosnien und Herzegowina liegt Slawonien im Osten des Landes, wo es an der Donau, der Grenze zu Serbien, endet. Der Privatwald, den Orlović und zwei weitere Kollegen hier forstwirtschaftlich verantworten, erstreckt sich über 12.000 Hektar.

Quer durch Europa
Am Vortag sitzt Röthlisberger seit dem Morgen am Steuer seines Citroën-Kombi. Vom Flughafen Zagreb, unserem Treffpunkt, nach Breznica Našička sind es noch 200 Kilometer. Als wir die Autobahn verlassen, wirken die Orte an der Strecke im Dunkeln fast wie ausgestorben. In dieser ländlichen Gegend stehen etliche alte Bauernhöfe, kleine Häuser und immer wieder Neubauten mit unverputzten Fassaden. Röthlisberger kennt die Gegend und nimmt solche Details kaum mehr wahr. Nach Slawonien kommt er seit Jahren, um Eichen zu kaufen. Auf dem Weg über die Berge gleitet sein weich gefederter Wagen routiniert durch die Kurven. Als wir unsere Unterkunft erreichen, ist es bereits tiefe Nacht.

Holzschlagen hat Saison
„Die Musik wird im Winter gespielt“, erklärt er. Baumfällen zur kühlen Jahreszeit hat viele Vorteile: Zum einen tragen die Bäume kein Laub und lassen sich deshalb leichter handhaben. Zum anderen ruhen sie zu dieser Zeit. Ihre Stämme halten weniger Wasser, was sie schneller trocknen lässt. Auch sind die Schnittstellen weniger anfällig für Pilzbefall und es gibt weniger Insekten, die das Holz befallen könnten. Schließlich verhindert der gefrorene Waldboden, dass die schweren Maschinen im Morast versinken. Denn noch immer ist das Gelände weich. Einst ließ Kaiserin Maria Theresia von Österreich, die seinerzeit über die kroatischen Gebiete regierte, die Wälder Slawoniens zur Trockenlegung des Sumpflandes anlegen.

Röthlisberger freut sich über unser Timing: „Wir haben abnehmenden Mond, das ist der beste Zeitpunkt.“ Kurz vor Neumond halten die Bäume wenig Saft. Es heißt, das sogenannte Mondholz sei besonders stabil, haltbar und resistent gegen Schädlinge. Früher wurde sogar ausschließlich unter Berücksichtigung der Mondphasen geschlagen.

Heilige Mutterbäume
Am Morgen holt uns Ante Orlović in seinem Geländewagen ab. Es ist ein milder Wintertag im Februar, das Thermometer steigt auf acht Grad. Den ersten Halt machen wir an einem 25 Hektar großen Waldstück, in dem für die nächsten 20 Jahre nicht gefällt werden soll. „Die Bäume, die hier stehen, liefern uns die Phänotypen unserer Eichelzucht“, erklärt Orlović. Dafür kämen nur die geradesten Bäume in Frage. Die besten Bäume sind mit einem neonfarbenen Punkt markiert, die allerbesten mit einem Doppelring. Diese sogenannten Mutterbäume sind die heiligsten Pflanzen des Waldes. Sie sichern das Saatgut, das sich als robustestes durchsetzt. Bis eine Eiche brauchbare Früchte abwirft, vergehen 70 Jahre. Die Zeit davor nutzt der Baum seine Energie fürs Wachstum. Nach 140 Jahren aber sinkt die Qualität der Samen. Gedacht sind die Eicheln nur zum Verkauf, wie der Forstingenieur betont. Der eigene Wald versorge sich selbst mit Sprösslingen. Dabei sei eine gesunde Mischung der Schlüssel zum Erfolg. Diversität macht den Wald resistenter, Pilze haben größere Auswirkungen in Monokulturen.

Neben Stiel- und Traubeneichen wachsen in diesem Wald vor allem Hainbuchen und Ulmen, aber auch Eschen und Linden. „Aufgabe der Buchen ist es, die Eichen immerzu mit ihrem dichten Blattwerk zu bedrängen“, erklärt Jakob Röthlisberger, „so dass denen kein anderer Ausweg bleibt, als sich zu strecken und in die Höhe zu wachsen.“ Auf unserem Weg passieren wir die verschiedenen Altersstufen des Waldes. Im Abstand von 20 Jahren werden die Abschnitte in sieben Klassen eingeteilt. Orlovićs Verantwortung ist es, jede Altersklasse stets in gleicher Menge zu erhalten, um über Generationen hinweg die Verfügbarkeit des Holzes zu garantieren.

Finaler Schnitt
Auf unserer letzten Station mit Orlović erleben wir ein Waldstück bei seinem finalen Schnitt. Dabei weichen die letzten hinterbliebenen Eichen einer Generation: die Mutterbäume, deren Nachkommen nun bereits zwei bis drei Jahre alt sind. Diese Jungbäume sollen nun genügend Licht abbekommen. Schon von Weitem hören wir das Knattern der Kettensäge. Der junge Waldarbeiter Josip geht in Position. Aus sicherer Entfernung beobachten wir, wie routiniert er eine Eiche zu Fall bringt. Möglichst ohne dabei einen anderen Baum zu beschädigen, am besten senkrecht zum Waldweg. Am Tag schafft ein Waldarbeiter etwa 30 Bäume.

Maß nehmen und beurteilen
Es duftet nach frischen Sägespänen, der Stumpf ist regelrecht nass. Ein Blick auf den Schnitt verrät, was Josip vielleicht hätte besser machen können. Durch den Stammansatz geht ein Riss, der durch zu hohe Spannung beim Abknicken entstanden ist. Hätte er ihn seitlich etwas mehr eingeschnitten, hätte sich dieser eventuell vermeiden lassen. Jakob Röthlisberger ist dennoch zufrieden mit der Eiche. Ein weiterer Forstmitarbeiter nimmt Maß und beurteilt den Baum, damit nachher klar ist, welcher Preis ausgehandelt werden kann. Schweres Gerät schafft die Bäume heraus. Sind die Stämme gestapelt und der Kauf erledigt, liegt der Abtransport in der Verantwortung der Händler. Ihr Ziel: das Sägewerk.

Über Zagreb und Ljubljana in Slowenien geht es für uns nun nach Österreich. Immer wieder klingelt das Telefon. Es geht um Lagerbestände, um Anfragen – soweit Jakob Röthlisberger in seinem tiefsten Schweizer Dialekt zu verstehen ist. Einen Großteil seines Geschäftes erledigt der Holzspezialist genau so, während der Fahrt. Dabei muss er sich viele Dinge einfach merken, notieren geht ja schlecht. Zum wichtigsten Begleiter wird das iPhone.

Notensystem der Hölzer
Als wir am Abend unser Tagesziel erreicht haben, erklärt Jakob Röthlisberger sein Notensystem, nach dem er jeden einzelnen Stamm beurteilt. Benotet werden Stammform, also Größe, Krümmung und Wuchsbild, die Holzstruktur, damit sind Astigkeit und Jahrringbau des Baumes gemeint, sowie die Holzfarbe, bei der das Farbenspiel und der farbliche Ausdruck zusammenspielen. Von 1 bis 6 steht die höchste Zahl für die Bestnote. Es kommt vor, erzählt Röthlisberger, dass er dreifach die 6 vergibt.

Dafür, dass er diese Bäume bekommt, hat er lange gearbeitet. Mittlerweile wird er häufig als Erster gefragt, wenn irgendwo Holz dieser Qualität angeboten wird. Unter Holzhändlern setzt das hohes Vertrauen voraus. Genau wie es in allen Holz verarbeitenden Schritten viel Vertrauen und Sorgfalt braucht. „Die Natur hat es geschafft, ein perfektes Produkt bereitzustellen“, sagt Röthlisberger. „Nun beginnt für uns die Verantwortung, diesen edlen Wert zu erhalten.“

Vom Stamm zum Brett
Bei Bernhard Leobacher im Salzburger Sägewerk liegen am nächsten Vormittag schon ein paar dicke Eichenstämme bereit. Noch mit Rinde, da Röthlisberger sie so besser beurteilen kann. Vor dem Schälen wird je nach Krümmung, Astverteilung und möglichen Rissen über die Schnittrichtung und -stärke entschieden. Jakob Röthlisberger markiert die Stämme dafür mit einer Sprühdose. Mit dem anschließenden Entrinden weht ein modriger Mulchgeruch über den Hof. Nun können die Stämme in Längsrichtung gesägt werden, einer nach dem anderen. Jedes Brett wird gleichzeitig noch einmal mittig geteilt. Das verhindert, dass beim Trocknen Spannungsrisse entstehen.

Die Benotung
Für den Holzprofi ist dies jetzt der Zeitpunkt, seine Ware zu bewerten. Ist er selbst nicht vor Ort, übernimmt die Beurteilung ein Mitarbeiter vom Holzhändler. An diesem Tag vergibt Röthlisberger viele mittlere Werte, aber auch ein paar Mal die Bestnoten 5 und 6. Einer der Stämme hat einen Schaden, den Röthlisberger von außen nicht sehen konnte, mit dem Rest aber ist er heute zufrieden.

Ein Beruf für Autodidakten
Seit bald 18 Jahren kauft Jakob Röthlisberger Holz ein: seit über acht Jahren für das Schweizer Möbelunternehmen Girsberger, das sein Holz auch an andere Hersteller verkauft; davor bei einem großen Schweizer Holzhändler. Eine Ausbildung für seinen heutigen Beruf gibt es nicht. Genauso wenig gibt es entsprechende Literatur, die ihm bei seiner Tätigkeit geholfen hätte. Einzig seine Neugierde und seine Liebe zum Material konnten den gelernten Zimmerer dahin bringen, wo er heute ist. Für unsere letzte Etappe, ein Holztrocknungslager, reisen wir am nächsten Tag noch einmal zurück ins Kärntner Maltatal. Täglich wird hier frisch geschnittenes Holz aus den Sägewerken angeliefert. Das meiste davon gehört dem Holzhändler Stefl. Der Betrieb dieses Lagers erfordert hohes logistisches Geschick: Kein Stamm, kein Brett darf vertauscht werden. Die Werte, die diese Hölzer darstellen, sind mitunter enorm. Bernhard Genser, Geschäftsführer der Firma, erzählt, dass es hier 25 verschiedene europäische Holzarten gibt. Jede davon erfordere eine andere Behandlung, je nachdem auch, wie der Kunde sein Holz wünscht.

Dämpfen und trocknen
Genser erläutert die Schritte, die die Ware hier durchläuft: Nach der Anlieferung werden die meisten Holzarten bei 90 bis 95 Grad gedämpft, dabei werden die Fasern geöffnet, so dass das Holz letztlich schneller trocknet. Zudem beeinflusst das Dämpfen die Farbe. Im Anschluss trocknet das Holz im Freien unter großen Dächern, bevor es nach einem bis eineinhalb Jahren in Trockenkammern auf acht Prozent Materialfeuchtigkeit gebracht wird. Bis zum Abtransport lagert das Holz zuletzt in klimatisierten Hallen. Wie bei Lebensmitteln darf auch hier die Kühlkette nicht unterbrochen werden, erklärt Gensers Bruder Andreas. So wird die Qualität garantiert, für die das familiengeführte Unternehmen steht.

Passion im Blut
Getrocknet wird im Maltatal seit 1989, als der Vater die Firma gegründet hat. Schon der Großvater war im Holzgewerbe. Mit einer Reisesäge zog der in die Berge, um vor Ort Baumstämme zum Bau von Almhütten zu verarbeiten. Auf dem Hof entdeckt Jakob Röthlisberger nun seinen Stapel Schwarznuss wieder, der hier zwei Wochen zuvor angeliefert wurde. Mittlerweile ist das Holz gedämpft. Röthlisberger ist neugierig und holt sein Spezialwerkzeug hervor: ein umgeformtes Klappmesser, mit dem er die obere Schicht des Holzes abschabt. So erkennt er die tatsächliche Struktur und den Farbton besser. Wie für die Schwarznuss üblich, hat sich der Splint, also die äußeren, jungen Schichten des Stammes, beim Dämpfen farblich an den Kern angepasst. Röthlisberger ist begeistert.

Einer von ganz wenigen
Dann überprüft er noch seine Eichen, die traditionell nicht gedämpft werden, dafür aber länger lagern: je nach Stärke bis zu drei Jahre. „Eichen geben ihr Wasser nicht gern her“, sagt er. Erneut setzt er seinen Schaber an. Wer Jakob Röthlisberger so sieht, versteht, wie außergewöhnlich seine Profession ist. Wie viele Kollegen es auf seinem Niveau gibt? „Europaweit vielleicht acht“, rechnet er. Spricht er über Bäume, hört man Sätze wie: „Ich schaue gern ins Herz. Was sich dort abzeichnet, trägt sich nach außen hin fort.“ Damit meint er die Äste, die bestenfalls sauber geschnitten wurden. Er meint auch die Strapazen, die ein Baum im Laufe seines Lebens durchgemacht hat. Dass er nicht bei jedem Stamm ins Innerste blicken kann, versteht sich von selbst. Immerhin verantwortet er den Einkauf von derzeit jährlich 5.000 Bäumen.

Ohne Hingabe zum Holz kann man diesen Beruf nicht machen. Jede Woche aufs Neue rund 2.500 Kilometer reisen. Für den Baumflüsterer geht es nur übers Wochenende nach Hause ins Berner Oberland. Bevor er sich erneut aufmacht, um die schönsten Eichen in Frankreich zu finden.

Foto: Anikka Bauer